Wenn ich so richtig nachdenke, dann war die Geburt von Selda’s Damen schon vor etwa fünfzig Jahren in einem Dorf mitten in Anatolien in der Türkei.

Das Dorf war damals sehr belebt und voller, als es heutzutage ist. Meine Eltern gingen von dort nach Deutschland, als ich neun Monate alt war. Ich blieb bei meinen Großeltern im Dorf. Wir Kinder hatten keine Spielsachen, haben uns mit dem, was die Natur uns bot, beschäftigt. Es gab eine Schule, vielleicht 60 Häuser, 2 Gemischtwarenläden und einen Bürgermeister.

Wenn die Hirtenjungen aus den Bergen mit den Kühen und Schafen zurück ins Dorf kamen, brachten sie für uns Kinder immer etwas mit. Darunter waren kleine, wie Erbsen aussehende Früchte, die wir öffneten und die kleinen Kugeln mit Genuss aßen. Aber es gab auch essbare Blumen. Blumen, die wie Krokusse aussahen. Wenn man sie in den Mund nahm, knackten sie. An den süßlichen Geschmack kann ich mich noch genau erinnern. Außerdem brachten die Hirten die eine oder andere schöne Blume mit. Das war immer ein Highlight, wenn eine Blume darunter war. Denn die schönsten Blumen wuchsen auf den Weiden und in den Bergen. Die ersten Damen, die ich zeichnete, haben auch besondere, übergroße Blumen in der Hand. Übergroß, weil sie so selten und dadurch kostbar sind. So selten, wie die Blumen aus den Bergen, die die Hirtenjungen mitbrachten. 

Die üblichen Fortbewegungsmittel waren Traktoren oder unsere Füße. Ich erinnere mich, als ich mit meiner Großmutter einmal unterwegs war. Der Weg erschien mir ewig und unendlich. Es kam mir immer so vor, als ob meine Großmutter in Eile war. Ich lief immer hinterher, da ich mit ihr nicht Schritt halten konnte. Auch Selda’s Damen sind immer in Eile. So, wie der immer schneller werdende Wandel der Zeit. Als ob man nichts verpassen wollte, als ob man der Zeit hinterherrennt. 

Aufgewachsen in einer Gegend, wo es ringsherum nichts gab, als die Natur.

Meine Leidenschaft bestand daher aus Bleistift und Papier. Ich zeichnete und hob die mir besonders erschienenen Bilder in einem kleinen Holzkästchen auf. Wir Kinder beschäftigten uns allein, da die Männer und Frauen entweder auf Feldern arbeiteten, sich um die Tiere kümmerten, oder Butter, Joghurt, usw. herstellten. Ich wuchs in diesem wunderschönen Dorf auf, wo die Kinder sich versammelten und ein Erwachsener ihnen Geschichten erzählte. In diesen Geschichten gab es immer eine besonders schöne Frau, die mit allen Einzelheiten beschrieben wurde, die schöne Kleider aus früheren Zeiten trug und Schuhe mit hochgezogener Spitze, die mit Punpons oder anderen schönen Schmuckstücken bestickt waren. Nach solchen Tagen zeichnete ich die Frauen in diesen Geschichten, so wie ich sie mir ausmalte. Meine Damen haben ähnliche Schuhe an, tragen Rock über Rock und Pumphosen drunter. Genau solche, wie damals in unserem Dorf die älteren Frauen trugen. Die Kleidung meiner Damen ist eine Mischung aus alten Zeiten wie Rock über Rock oder die Pumphosen, und der modernen wie die bauch- und rückenfreien Oberteile. Sie drücken die Konflikte der alten und modernen aus. Auch wenn die Zeiten sich ändern, ein Stück Tradition und Brauch sollte man sich bewahren.

Jede Frau im Dorf hatte lange Haare. Sie trugen meistens Zöpfe, die sie zusammengebunden hatten, oder als Dutt rollten, wegen der täglichen Arbeit. Aber sobald eine Hochzeit oder ein Fest anstand, zeigten sie ihre Pracht offen. Die meisten meiner Damen haben auch lange, gewellte Haare, die sie so einzigartig machen. Die langen, welligen, in der Luft schwebenden Haare drücken die Gelassenheit und Freiheit aus.

Ich werde oft darauf angesprochen, warum die meisten meiner Figuren keine Gesichter haben. Sie sind gesichtslos, weil das Individuum eigentlich keine große Bedeutung hat. Es hat keinen Einfluss auf die Veränderungen. Es kommt, wie es kommt.

Die Figuren wirken immer zart und zerbrechlich, weil jeder Mensch seine schwachen Stellen hat und doch auch seine Stärken in anderen Bereichen.

Die Proportion der Figuren mit ihren langen Hälsen, kleinen Köpfen, teilweise übergroßen Körpern stellen für mich eines dar: das Unperfekte. Auch wenn meine Damen schön erscheinen, sie sind nicht perfekt.

Mit neun Jahren kam ich nach Deutschland. Bis zu meiner Jugend habe ich immer in meiner Freizeit gezeichnet, mit Graphit, Kohle oder Tusche. Meine Zeichnungen blieben immer schwarz-weiß. Danach zeichnete ich nicht mehr. 

Dann kam Corona, und ich fing wieder an zu zeichnen. Als wir unseren Gewölbekeller ausmisteten, fand ich die kleine Holzkiste. Darin waren meine mittlerweile vergilbten und verstaubten kleine Zeichnungen aus der Kindheit. Ich versank in die Zeit zurück, als ich noch in dem Dorf meiner Großeltern lebte. Plötzlich war ich in dem Dorf und sah alles lebendig vor mir. Zuletzt war ich vor ungefähr 45 Jahren dort, danach nie wieder.

In dieser Zeit, als ich auf unserer Kellertreppe saß, schossen mir Figuren vor Augen. Ich sah, wie verschiedene Damen mit übergroßen Blumen und schönen Kleidern hin und her schwirrten. An diesem Abend setzte ich mich hin und brachte zu Papier, was ich auf der Treppe sah. 

Die Holzkiste war für mich Motivation, die alten Figuren aus Kinderzeiten wieder aufzugreifen, weiterzuentwickeln und zu verändern.

Dieses Mal probierte ich verschiedene Farbtechniken aus. Dann habe ich Aquarell für mich entdeckt. Aquarell ist für mich so besonders, weil ich die Farben und Muster verändern, Farben mischen und verwischen kann, die meinen Motiven den gewünschten Effekt geben. Mittlerweile mische ich meine Farben selbst, wodurch sie noch einzigartiger werden.

Die asiatischen Motive kommen durch meine Reisen in ferne Länder. Es werden immer mehr Damen kommen, die in anderen Ecken der Welt leben. Die Welt ist so schön bunt, so wie meine Damen.

Die Damen sollen zeigen, dass man im Wandel der Zeit das Traditionelle mit der Moderne in Einklang bringen kann, dass das Individuum keinen Einfluss auf die Veränderungen hat, dass sie mit Gelassenheit die Freiheit haben, unperfekt zu sein, weil sie so kostbar und selten sind.

Meine Figuren spiegeln ein Teil meines Lebens wider. Sie erfreuen mich und ich hoffe, dass auch die Betrachter diese Freude nachempfinden können.


Es ist nie zu spät, seine Träume zu verwirklichen. 

Obwohl ich als Kind und Jugendliche in meiner Freizeit immer gezeichnet habe, habe ich einen anderen Berufsweg gewählt: zuerst  Bauzeichner, später Buchhalter. 

Jetzt bin ich mit meinem Webshop "Selda's Collection" Zu meinem Hobby "zeichnen und malen" zurückgekehrt und hoffe mit meinen Damen Euch selbst oder jemandem, der Euch am Herzen liegt, eine Freude zu bereiten.


Das Titelbild zeigt die Landschaft vom Dorf meiner Großeltern. Foto: Sevim Demir Photography